Die Schule und ich
Seit zwölfeinhalb Jahren besuche ich die von vielen Jugendlichen am meisten verhasste Institution, an der keiner vorbeikommt – auch Schule genannt. Und was soll ich sagen? Uns verbindet seit meinem ersten Tag eine Hassliebe. Eigentlich gehe ich gerne zu Schule. Schon allein wegen dem täglichen Kontakt mit Gleichaltrigen. Außerdem versuche ich mir immer vor Augen zu führen, dass es ein Privileg ist, eine Schule besuchen zu können. Viele Kinder und Jugendliche auf dieser Welt besitzen dies nicht. Wir können also froh sein über das gut ausgebaute deutsche Bildungssystem, das jeden erfasst, egal als was die Eltern arbeiten.
Ich selbst bin eine Verfechterin einer umfangreichen Bildung, da ich den Standpunkt vertrete, dass gebildete Menschen die Gesellschaft weiterbringen. Mit gebildet meine ich hierbei nicht, dass jeder ein Abitur haben muss. Daher halte ich es also für sehr sinnvoll, dass SchülerInnen Wissen auf vielen Gebieten erwerben, denn nur der*die, der*die ein umfangreiches Wissen besitzt, kann mitreden und sich begründete Standpunkte bilden. Aber die Schule will zu viel. Nicht selten wird von Politiker*innen, Lehrer*innen, Schüler*innen oder Eltern angekreidet, dass die Lehrpläne zu voll sind. Zurecht. Jeder einzelne Tag von der ersten Klasse an ist durchgeplant. Integralrechnung, Faust I und II, Proteinsynthese, Gedichtanalyse in 2 Sprachen… Die Schüler*innen werden vollgestopft mit Wissen. Von meinen Lehrer*innen wird gern das Wort „Bulimielernen“ gebraucht. Lernen, Lernen, Lernen und wieder vergessen. Ich selber kann auch ein Lied davon singen. Wie oft habe ich verzweifelt vor meinen Heftern gesessen und mir wie verrückt Formeln ins Hirn gehämmert. Manchmal war ich maßlos überfordert, wenn ich wieder drei LKs an einem Tag schreiben und für jede jeweils den ganzen Hefter auswendig lernen musste. Ich habe es meistens gepackt. Irgendwie. Indem ich mir die Nächte um die Ohren geschlagen habe. Am nächsten Tag bin ich dann völlig übermüdet in die Schule gewatschelt und habe mein Wissen aufs Papier „gekotzt“. Die Ergebnisse schwankten zwischen ganz gut und ziemlich schlecht. Doch wo ist der Mehrwert? Es gibt keinen. In der Schule geht das, was wirklich wichtig ist, unter. Inhalte kritisch hinterfragen, sich Wissen aneignen und anwenden, kontroverse Diskussionen führen, eigene Ideen verwirklichen – diese Dinge fallen durch die vollgestopften Lehrpläne völlig hinten runter. Der Lehrplan lässt keinen Raum für die Förderung individueller Stärken. Doch dabei ist es wahnsinnig wichtig zu wissen, was man gut kann, da das ein essentieller Punkt für die Wahl des späteren Berufes ist. Und das ist genau der Grund, warum viele junge Menschen absolut keine Ahnung haben, was sie später einmal werden sollen. Mir selbst geht es genauso. Ich bin 18 Jahre alt und habe absolut keine Ahnung, was ich gut kann und wer ich überhaupt bin. Ich habe eine wahnsinnige Angst vor meinem letzten Schultag und vor allem, was danach kommt. Aber was soll’s? Dafür kann ich Ableitungsfunktionen bilden, die Wahrscheinlichkeit von 20-stufigen Zufallsexperimenten berechnen und die Biochemie der Fotosynthese im Schlaf herbeten.
von Emely Muster